Die Schweizer Regierung in Bern hat nun die Verhandlungen über eine Rahmenvereinbarung mit der EU abgebrochen. Zu den Gründen wollte der Schweizer Präsident Guy Parmelin in einem Telefonat mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen näher eingehen, sie hat aber sein Gesprächsangebot nicht angenommen. Meiner Meinung nach sehr unklug in einer schwierigen Situation wie dieser. Durch den Abbruch der Gespräche gibt es nur Verlierer, die guten (Handels) -beziehungen zwischen der EU und der Schweiz sind zumindest getrübt, wenngleich beide Seiten betonen, dass diese sich auf keinen Fall verschlechtern werden. Und die EU Kommissionsvertreter schießen nach: „Es werde keine weiteren Abkommen geben, und ältere Abkommen würden möglicherweise nicht aktualisiert.“ Klingt für mich nach Drohung. Die EU spielt hier mMn die Macht des Größeren aus. Aber schauen wir uns mal an, worum es eigentlich geht:
Die Schweiz und die EU sind wichtige Handelspartner, die EU der größte Handelspartner der Schweiz mit ca. 42% der Schweizer Exporte an Waren und 50% der Importe der Schweiz, der Handelsaustausch beläuft sich auf rund 1 Milliarde Euro pro Werktag. Der Gewinn der Schweiz aufgrund der bilateralen Beziehung zur EU beläuft sich pro Jahr auf ungefähr 20-30 Milliarden Schweizer Franken. Doch auch die Schweiz ist wichtiger Handelspartner der EU, der 4. Größte nach China, den USA und Großbritannien. Die Schweiz hat einen Anteil von 6,9 % der Exporte der EU und 5,7 % der Importe.
Im Jahr 2020 lebten 1,4 Millionen Unionbürger in der Schweiz, ca. 400000 Schweizer in der EU, zudem gibt es 344000 Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten.
- Die Schweiz ist, wie andere europäische Staaten auch, in verschiedenen Bereichen auf Arbeitskräfte aus anderen Ländern angewiesen: im medizinischen Bereich (Ärzte, Pflege), im Dienstleistungsbereich, in der Gastronomie, im Baugewerbe und im IT-Bereich, um die größten zu nennen. Hier wird der Verlust des Zugangs zu den EURES Dienstleistungen (europäisches Kooperationsnetz von Arbeitsvermittlungen) sich mit Sicherheit negativ auswirken.
- Ein weiteres Problem sehe ich in der Energieversorgung. Da die Schweiz im Winter auf Stromlieferungen aus den Nachbarstaaten angewiesen ist und sich zudem zum Ziel gesetzt hat, die Energie zu decarbonisieren, wird sie hart treffen, keinen Zugang mehr zu EU- Stromhandelsplattformen und Kooperationsplattformen für Netzbetreiber oder Regulierungsbehörden zu haben.
- Im Medizinischen Bereich wird die fehlende Beteiligung an EU-Mechanismen und Agenturen möglicherweise Probleme bereiten, auch wenn die Performance der EU-Kommission gerade in Pandemie und COVID Zeiten fragwürdig war und auch eine gemeinsame Vorgangsweise der EU Staaten untereinander nur selektiv stattfindet.
- Im Lebensmittelbereich gibt es nun keine einheitliche Kennzeichnung der Produkte, auch die Einfuhr und Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird erschwert.
- Für Schweizer Luftfahrtunternehmen wird es keinen Zugang zum EU Binnenmarkt geben, was Kabotage verunmöglicht.
Ein 50 Jahre altes Freihandelsabkommen, 30 Jahre alte bilaterale Vereinbarungen, ein Verhandlungsmarathon von 7 Jahren: ein „Aufeinanderzugehen“ von beiden Seiten wäre gefragt. Jetzt, wie die Handelskammer Deutschland-Schweiz Bedrohungsszenarien zu artikulieren, wird vermutlich kein Umdenken bringen. Der durch mühsam erreichte Liberalisierungsschritte sinnvolle Marktzugang, die mögliche Zertifizierung von Produkten für die jeweiligen Märkte zu gefährden und damit möglicherweise neue Probleme im Wirtschaftsverkehr zu provozieren kann nicht im Sinne der Wirtschaftstreibenden auf beiden Seiten sein. Und ein Ausstieg aus dem Forschungsprogramm Horizon 20 sowieso nicht. Die Verknüpfung Wissenschaft-Wirtschaft-Politik war noch nie besonders sinnvoll als Repressalie.
Übrigens: gescheitert sind die Verhandlungen auf Grund von 2 Punkten, die mit der Personenfreizügigkeit in Verbindung stehen und mit Sozialversicherungen und Differenzen beim Lohn- und ArbeitnehmerInnenschutz, als Konsequenz daraus auch mit den staatlichen Beihilfen, die eigentlich schon geklärt waren.
Ich war immer schon eine Vertreterin der These: Soviel Autonomie wie möglich und sowenig EU wie möglich. Jeder Teil unserer EU muss auch die Möglichkeit haben, seine Eigenständigkeit zu bewahren, allerdings natürlich ohne das System auszunutzen, was ja leider auch nicht immer der Fall ist (Nettozahler...) Aber ich bin der festen Überzeugung, dass ein Zugehen aufeinander beider Verhandlungspartner eine befriedigende Lösung für alle bringen kann. Vielleicht tut eine Verhandlungspause auch mal ganz gut, dann kann jede Seite nochmal nachdenken und eine „Plus-Minus“ Liste erstellen, in deren Mittelpunkt immer das Beste für die Menschen stehen sollte. Leider wird das viel zu oft vergessen.